Wir leben in einer verrückten Zeit: Zwei Fastenkampagnen sind Corona-bedingt buchstäblich ins Wasser gefallen, dieses Jahr schien das Licht am Ende des Tunnels gekommen zu sein, um in der Fastenzeit wieder Aufmerksamkeit zu schaffen für die Hungernden weltweit. Da bricht am Rande Europas ein neuer Krieg aus, zieht Menschen in Grauen und Schrecken, die bisher ihr eigenes Leben verdient und die Welt mit Getreide versorgt haben. Diese Katastrophe treibt Menschen von einem Tag auf den andern in die Flucht und die weltweite Hungerproblematik wurde damit gar noch zugespitzt. Die diesjährige Fastenkampagne von Fastenaktion und HEKS will Bewusstsein schaffen für das Thema Ernährungssicherheit auf dem Hintergrund des weltweiten Klimawandels. Es ist kein Geheimnis, dass da den erneuerbaren Energien die entscheidende Rolle zukommt. So teile ich nun mit Ihnen meine Gedanken zum Thema erneuerbare Energien. Hoffentlich gelingt es mir, Sie dort abzuholen, wo Sie heute Morgen stehen, vermutlich erschüttert und in Ohnmacht gegenüber dem Krieg, der ungehindert vor den Grenzen Europas seinen Lauf nimmt und den Menschen und der ganzen Schöpfung Elend bringt und Leben der zerstört.
Meine Energien erneuern
Beginnen wir mit uns: Was hilft mir, gerade im Angesicht garstiger Zeiten, in meinem persönlichen Leben meine Energien zu erneuern? Vor ein paar Tagen schickte mir meine Schwester eine Whatsup-Nachricht mit dem Vorschlag, mir jeden Tag um 16.00 Uhr eine Schweigeminute einzurichten, um mich mit vielen anderen Menschen auf der Welt zu verbinden und Gedanken des Friedens zu teilen. Jeden Tag eine Minute. Das mache ich nun, und es tut mir gut. Mein Kopf hört für einen Moment auf zu rattern und ich verbinde mich mit Menschen, die von Unglück und Not betroffen sind. In dieser einfachen Geste habe ich entdeckt, was Fasten eigentlich bedeutet: Meine Routine zu unterbrechen, meine Gewohnheitsmuster zu durchkreuzen, offen zu werden für die Not anderer und Mitgefühl zu entwickeln. Wie gesagt, eigentlich hätte es keines neuen Krieges bedurft, um dieses Mitgefühl wieder zu entdecken, Elend hat es schon zuvor genügend gegeben. Gleichwohl habe ich in den letzten Tagen diese Energiequelle, diese Erneuerbare, neu entdeckt.
Die Energien des Planeten erneuern
Gehen wir einen Schritt weiter: Sie haben es bestimmt auch schon gehört, jedes Jahr begehen wir den «Earth Overshoot Day», den Erdüberlastungstag, ein paar Tage früher als das Jahr zuvor. Letztes Jahr war es in der Schweiz der 11. Mai. Würden alle Menschen auf der Welt auf so grossem Fuss leben, wie wir Schweizerinnen und Schweizer, dann wären an diesem Tag die Schätze der Schöpfung – Nahrung, Wasser, Rohstoffe, die für ein Jahr ausreichen sollten, aufgebraucht. Unser Planet ist nach weniger als fünf Monaten ausgepowert, fix und fertig. Was hilft da unserem Planeten, seine Energien zu erneuern? Ivone Gabara, eine brasilianische Befreiungstheologin, bringt einen spannenden Gedanken ein. Sie schlägt uns vor, Biomasse als unsere Nächste zu betrachten. Biomasse ist all das organische Material, lebendes und totes, aus dem erneuerbare Energien gewonnen werden können. Im Evangelium nach Matthäus, das wir zuvor gehört haben, sagt Jesus: «Alles, was ihr für eines meiner geringsten Geschwister getan habt, habt ihr für mich getan.» (Mt 25,40) Nach dem Vorschlag von Gebara würde das bedeuten, dass nicht nur das, was wir anderen Menschen «zu lieb» getan haben, wir Christus getan haben, sondern gleiches für unseren Umgang mit der Schöpfung gilt. Ja, die Erde kann sich erneuern, wenn wir weniger Energie verschwenden, genügsamer leben und die Früchte der Energie mehr geniessen. Fast alles, was wir tun, braucht Energie, egal ob wir es geniessen oder ob wir es aus Langeweile tun. (Das können Sie heute im Anschluss an den Gottesdienst im KlimaGespräch mit Melanie Troxler erleben.) Normalerweise, d.h. während Jahrmillionen vor der Industrialisierung war die Erde gut im Erneuern ihrer Kräfte. Aber durch das gierige Auspressen unseres Planeten ist die Erde in Stress gekommen. Wenn wir möchten, dass unser Planet mit uns zusammen überlebt, dann müssen wir ihm dringend Regenerationspausen ermöglichen. 2022 wird in Deutschland bereits am 3. Mai der Overshoot-Day begangen. Ich vermute, in der Schweiz wird es ähnlich sein, 8 Tage früher als im letzten Jahr. Aus Liebe zu unserem Planeten rufen wir deshalb ein Fasten aus, halten einen Moment inne und steigen aus aus dem Hamsterrad grenzenlosen Konsums, damit das Antlitz der Erde sich erneuern kann (Ps 104,30).
Achtung: Nicht alle Erneuerbaren sind nachhaltig
Ich komme zu einem dritten und letzten Punkt, welcher das Kerngeschäft von Fastenaktion betrifft: Nicht alle erneuerbaren Energien sind tatsächlich nachhaltig. D.h. eigentlich wären sie es ja schon, wenn sie immer gerade dann genützt würden, wenn sie anfallen. Aber wir brauchen Batterien, um Energie zu speichern, sonst ist es nicht gesagt, dass unser Elektroauto oder E-Bike fährt, wenn wir es nützen wollen. Und Batterien brauchen Lithium. Vor kurzem haben mir unsere Partner aus Argentinien, Bolivien und Kolumbien erzählt, dass in ihren Ländern in den letzten Jahren ein wahrer Boom bei der Suche nach Lithium ausgebrochen ist. Bäuerinnen und Bauern werden von ihren Ländern vertrieben, um dann auf diesem Gebiet aus unterirdischen Seen lithiumhaltiges Salzwasser an die Oberfläche zu bringen und aus einem Verdunstungsprozess das Alkalimetall herauszuholen. Dieser Prozesse führt offenbar zu Trockenheit, die sowohl die Viehzucht als auch das Wachsen von Baumkulturen gefährdet. Damit scheint sich das Trauma der letzten Jahrhunderte zu wiederholen, dass technische Entwicklungen bei uns im Westen zur Zerstörung der Lebensgrundlagen in Ländern des Südens führt. Elektroautos und E-Bikes sind nicht wirklich nachhaltig, wenn deren Batterien die Existenz der Menschen im Süden gefährden.
Sich verbinden, bedeutet sich erneuern
Unabhängig davon, ob es um die Erneuerung der eigenen, persönlichen Energien geht, darum die Menschen im globalen Süden zu stärken oder unseren Planeten vor dem Kollaps zu bewahren, das Zauberwort ist immer dasselbe: Fasten, Aussteigen aus einer ungesunden Routine und uns neu mit dem verbinden, was wieder lebendig macht: Mit Gott, der Quelle unseres Lebens, und mit der ganzen Schöpfung, mit allen Menschen und Lebewesen, vor allem mit denen, die bedroht sind. In der Tradition von Fastenaktion hat dieses Zauberwort einen Namen, der ganz tief in unserer DNA begründet ist, nämlich Teilen. Wir teilen.
In diesem Jahr teilen wir mit den Bauerngemeinschaften von Kolumbien. Mit dem Projekt CENSAT fördern wir nachhaltige Energieprojekte und geben den lokalen Bauerngemeinschaften auch eine Stimme in der Energie- und Klimadebatte. So können sie darauf aufmerksam machen, wenn die Lithiumproduktion ihre Existenzgrundlage zerstört.
Im Refrain eines ganz bekannten Kirchenliedes heisst es: «Wenn jeder gibt, was es hat, dann werden alle satt.» Heute lade ich Sie ein, sich grossherzig zu verbinden mit den Menschen, die im Krieg leiden, aber genauso mit den Menschen, die hungern (im Senegal/in Kolumbien). Wenn ich Ihnen heute die Kollekte für die Menschen in Kolumbien/Senegal empfehle, dann ist mir wichtig, dass Gerechtigkeit unteilbar ist: Unsere Solidarität gilt allen Leidtragenden, denn Jesus Christus sagt: «Alles, was ihr für eines dieser meiner geringsten Geschwister getan habt, hat ihr für mich getan. (Mt 25,4)