Wandelbar – wunderbar

Daniel Wiederkehr

Rede am 25. Februar 2018 im MaiHof Luzern

Vielleicht gehört es zur Tragik unserer Tage, dass uns heute vielfach Menschen ausserhalb der Kirchen vorleben, was eigentlich seit Jahrhunderten zum Kernbestand der christlichen Botschaft gehört: Sorge gegenüber der Schöpfung, Schritte des Friedens im Alltag und das Ringen um mehr Gerechtigkeit weltweit. So setzen sich Menschen zum Beispiel ein für eine naturnahe Landwirtschaft mit möglichst wenig Chemie, andere werden aktiv gegen die Nahrungsmittelverschwendung, indem sie jeden Abend im Tibits vorbeigehen und die nicht aufgegessenen Delikatessen abholen, um sie an Bedürftige weitergeben und wieder andere setzen bewusst auf Kooperation statt auf Alleingang. Manchmal bekommen wir auch als Menschen, die den Kirchen wohlgesonnen sind, den Eindruck, dass die Kirchenchristinnen und -christen müde geworden sind. Es gehört zu einem meiner Schlüsselerlebnisse: Vor einigen Jahren begleitete ich meinen heute 26 Jahre alten Sohn an ein Politgespräch der jungen Grünen und traf dort das, was ich selber in den achtziger-Jahren an den Bundesversammlungen der jungen Gemeinde erlebt habe. Da suchten junge Menschen nach Lösungen auf die heute drängenden Gesellschafts- und Umweltfragen – ganz nach dem Motto des Films «tomorrow»: Die Welt ist voller Lösungen. Genau der gleich Grouve, viel Idealismus, nur eben nicht unter dem Dach der Kirche.

Egal mit welchen theologischen Konzepten wir uns den Herausforderungen und Krisen von heute stellen, eines ist jedem klar: Um eine lebenswerte Welt unseren eigenen Enkeln und den Kindern überall auf der Erde zu überlassen, ist ein ziemlich radikaler Wandel nötig. So komplex die verschiedenen Problemanalysen auch erscheinen mögen, die Lösungen sind vergleichsweise einfach und unspektakulär:

  • Selber machen statt kaufen
  • Bewusst essen und Food Waste vermeiden
  • Reparieren statt wegwerfen
  • Nischen und Alternativen fördern
  • Und vor allem: auch dem eigenen Wandel Sorge tragen 

Zu drei Punkten erste eigene Gedanken, daran können wir dann gern im Gespräch an der Wandelbar anschliessen: Selber machen statt kaufen: Es gab in den 70er-Jahren ein Buch mit dem Titel «Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten». Während Jahren glaubte ich, ich sei für praktische Arbeiten unbegabt. So brachte ich bis vor kurzem mein Fahrrad zum Velomechaniker, wenn die Gänge verrostet sind. Das letzte Mal hat er mir ein Rostöl mitgegeben. Damit behandle ich seitdem Kette und Schaltung selber. Wenn wir uns die nötige Zeit zur Lösung eines Problems nehmen, dann können wir vieles von dem selber tun, was wir sonst gern an den Fachmann delegieren. 

Bewusst essen und Food Waste vermeiden: Das Gegenteil davon sind Fertigpizzas und «convenience food – Bequemlichkeitsessen». Zwar kosten biologische Nahrungsmittel zum Beispiel vom Markt ihren Preis, sie sorgfältig zuzubereiten, auch etwas mehr Zeit. Aber es ist offensichtlich, dass uns solche Nahrungsmittel anders nähren als die vorfabrizierten Fertiggerichte. Ich mache aber die Erfahrung, dass ich weniger im Kopf lebe und mehr im ganzen Körper, seit ich mir für’s Essen zubereiten, putzen und waschen bewusst Zeit einplane. Indem ich weniger Zeit am Schreibtisch verbringe, kann ich mich auch wieder besser von manchmal stressigen Büroalltag erholen. 

Ein drittes: Dem eigenen Wandel Sorge tragen. Andere sprechen auch vom inneren Wandel. Damit sich mein Tun wirklich verändern kann, widme ich Zeit der Spiritualität. In dem Mass, indem ich dem Göttlichen in mir Raum schenke, verändert sich meine Beziehung zu mir, den Mitmenschen und zur Schöpfung. Ich bin überzeugt, dass das Christentum weiterhin viel Lebensförderliches zur Pflege des inneren und äusseren Lebens beizusteuern vermag. Die Verse des zweiten Jesajas – wie er von Theologen genannt wird, und die wir heute als Lesung gehört haben – sind ein Beispiel dafür: 

Da wird das gute Leben nicht vom materiellen Wohlstand abhängig gemacht – «auch wer kein Geld hat soll kommen»; da werden wir eingeladen, danach Ausschau zu halten, was wirklich satt macht – «hört auf mich, dann bekommt ihr das Beste zu essen». Und wir werden zur Umkehr eingeladen – Umkehr hört sich etwas antiquiert an, muss es aber nicht sein, wenn es mehr bedeutet als einfach back to the roots. Es geht nicht um eine Umkehr zu einem Katalog von heiligen Werten, die ein für alle Male gegeben sind, es geht um eine grundsätzlichere Rückkehr aus einem Leben des Scheins zu mehr Sein, aus Oberflächlichkeit zu mehr Authentizität. Wenn wir uns darauf einlassen, wandeln wir uns. Vielleicht wird mit dem Gesagten deutlich, dass ich einerseits unseren christlichen Wurzeln einiges an Wandelqualität, an Wandelpotential zutraue, andererseits aber auch glaube, dass wir diesbezüglich noch nicht über dem Berg sind. Ich weiss, dass sich gerade im Maihof Franz und seine Mitstreiterinnen bemühen, eine präzise und lebendige Sprache für Spirituelles zu finden, aber nichts desto trotz: Dass diese Sprache auch ausserhalb der Kirche, in der Welt “verhebt”, dafür gibt es noch keine Patentantwort. Am vergangenen Freitag, am Tag des Wandels in Bern hat beispielsweise der 81 jährige Satish Kumar, der sich in der Tradition von Mahatma Gandhi bewegt, gesprochen, und sein Wort war so authentisch, so berührend, so dass wir Christen uns Mühe geben müssen, gleich berührend zu sein.

Bevor ich zum Abschluss noch versuche, den Bogen zum grossen Ziel unserer Fastenkampagne zu schlagen, lassen Sie mich Sie noch auf ein Projekt aufmerksam machen, welches mir bei der Predigtvorbereitung begegnet ist. Im Internet gibt es die Webside «kiss-zeit.ch». Kiss Zeit – Zeit um zu küssen, habe ich mir gedacht. Aber KISS ist etwas viel Unspektakuläreres, es ist die Abkürzung für ein wunderbares Freiwilligenprojekt in Bern, ich habe vor Jahren ein ähnliches im Bistum Basel unter dem Namen «Wegbegleitung» eingeführt: Freiwillige teilen ein bisschen Zeit mit Menschen, denen das Leben Mühe macht, die sich allein fühlen, die sich ein bisschen menschliche Wärme wünschen – etwas wie das hotel dieu an der Baslerstrasse, einfach ohne festen Begegnungsort. Das Ergebnis solchen Zeitteilens aus der Sicht eines Freiwilligen: “In dem ich einem anderen etwas schenke, werde ich selber doppelt beschenkt.” Und wissen Sie nun, was KISS bedeutet: «Keep it small and simple.» Das ist eigentlich das Rezept für allen Wandel: «Mach es klein und einfach.» Obwohl die Probleme gross sind, sind die Lösungen oft erfrischend einfach. Obwohl wir den «grossen Wandel» anstreben, geht es um viele kleine Schritte im Alltag. 

Ich habe zu Beginn gesagt, dass es heute häufig Menschen ausserhalb der Kirche sind, die sich um Schöpfung und die Umwelt kümmern, die für Gerechtigkeit und Frieden Grossartiges leisten. Aber es gibt bis heute auch Christinnen und Christen, die das vorbildhaft und überzeugend tun. Auch wenn lokale Gemeinden häufig etwas müde geworden sind in ihrem Engagement für Menschen, die bei uns Asyl suchen, solche, die hungern oder Opfer zerstörerischer Gewalt sind, einer ist trotz seiner 81 Jahre – das muss ein Jahrgänger von Satis Kumar sein – noch nicht müde geworden und sein Beispiel leuchtet weiter über den Vatikan hinweg. Sie haben es erraten, von wem ich spreche. Es gibt ein internationales Netzwerk mit dem Namen «smart CSOs», “kluge zivilgesellschaftliche Organisationen” und dieses billigt dem Papst zu, in seinen spirituellen Botschaften – insbesondere in seiner Enzyklika «Laudato si» Geschichten, «Narrative» zu verwenden, die es Menschen von heute möglich macht, ihr Ego etwas kleiner zu machen und sich als Teil der Schöpfung, der Natur zu verstehen und sich «gemeinsam für eine Welt, in der alle genug zum Leben haben” einzusetzen. 

Wenn Sie mich vor 50 Jahren gefragt hätten, ob je ein Papst nach Johannes dem XXIII wieder in der Lage wäre, Menschen so direkt zu berühren, hätte ich das für unmöglich gehalten. Mit Franziskus ist uns nun ein Mensch, ein Papst geschenkt, der das Charisma hat, beim Bewegen der grossen Fragen wieder den Glauben ins Spiel zu bringen – «small and simple.» Wenn nur sein Hofstaat nicht wär. 

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