Eine inspirierende Ressource für den Wandel

Daniel Wiederkehr

Warum führt Wissen nicht oder nur wenig zum Handeln? Dieser Frage geht der evangelische Theologe und Philosoph Günter Banzhaf in «So entsteht Zukunft»1 nach. Daniel Wiederkehr hat das Buch gelesen. Mit ihm sprach die SKZ. 

Dr. theol. Daniel Wiederkehr (Jg. 1960) ist bei Fastenaktion in der Bildungsarbeit tätig. Er engagiert sich für den systemischen Wandel und leitet das Projekt KlimaGespräche. Er verfügt über einen MAS in christlicher Spiritualität

SKZ: Daniel Wiederkehr, was begeistert Sie am neuen Buch von Günter Banzhaf?
Daniel Wiederkehr: Ich finde das Buch sehr spannend. Es behandelt wichtige thematische Punkte meiner Arbeit bei «Zukunftswerkstatt Wandel» von Fastenaktion und HEKS. Wir befinden uns global in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess. Der Autor visiert mit seinem Buch einen gesellschafts- politischen Wandel an, der auf ein Mehr an Gerechtigkeit in Gesellschaft und Welt zielt. Dabei sieht er die Spiritualität als eine inspirierende, motivierende und tragende Ressource. In der «Zukunftswerkstatt Wandel» arbeiten wir mit vier Aspekten, wie wir aus der Trennung von Mensch und Schöpfung zu mehr Verbundenheit kommen können. Günter Banzhaf nennt diese vier Aspekte verstreut im Buch: erstens die Dankbarkeit; zweitens den Schmerz ehren; drittens mit neuen Augen sehen und viertens ins Handeln kommen. Die Dankbarkeit verknüpft er mit der Genügsamkeit. Sie schiebt der Gier einen Riegel vor. Den Schmerz ehren meint das Mitgefühl mit den Leidenden und die Barmherzigkeit. Beim dritten Aspekt geht es dar- um, zu erkennen, dass alles in der Schöpfung miteinander verbunden ist. Wir leben in einem Netzwerk. Der letzte Aspekt lautet: Ins Handeln kommen. Der Autor findet, es sei genug geredet und Postulate aufgestellt worden. Passiert sei bis anhin wenig. Ihn leitet die Frage, weshalb das Wissen über den Klimawandel usw. nicht zum Handeln führt. 

Wenn ich Sie so höre, kommt mir die Enzyklika Laudato si’ von Papst Franziskus in den Sinn. Günter Benzhaf widmet am Anfang ein ganzes Kapitel Laudato si’. Er setzt damit einen prominenten Nagel. Auch nimmt er Gedanken aus «Fratelli tutti» auf. 

Warum führt unser vieles Wissen nicht
zum Handeln?
Die Theorien treffen nicht ins Herz. Für ein neues Handeln braucht es eine Begeisterung, ein inneres Feuer und vor allem Freude. Der Impuls fürs Handeln kommt vom Herzen aus. Im Herzen hat die Spiritualität ihren Sitz. 

Spiritualität ist ein weiter, allgemeiner Begriff. Aus welchen Spiritualitätstraditionen schöpft er? Im Buch bringt Banzhaf zwei religiöse Traditionsstränge miteinander ins Gespräch, das Christentum und den Buddhismus. Beim christlichen Traditionsstrang bezieht er sich vor allem auf Dorothee Sölle, Dietrich Bonhoeffer, Albert Schweizer und Martin Luther King. Wenn er sich auf den Buddhismus bezieht, dann nennt er vor allem Thich Nhat Hanh und den Dalai Lama. Er sucht zwischen christlicher und buddhistischer Spiritualität Entsprechungen. Zum Beispiel sprechen wir im Christlichen von Umkehr, im Buddhismus von spiritueller Transformation. Bei beiden geht es um Wandel. Banzhaf will eine breite Leserschaft ansprechen und bietet für diese Übersetzungshilfen, wie die vorhin genannte. Mir gefällt an seinem Ansatz, dass er anschlussfähig ist für viele Menschen. Ich mache bei unseren Angeboten von Fastenaktion die Erfahrung, dass die Menschen vorsichtig sind. Ich beobachte eine Angst vor dem Christlichen. Sie verdächtigen uns, dass wir sie mit einer neuen Masche für die christliche Botschaft gewinnen möchten. Es sind dies vor allem Menschen, die 50 Jahre und älter sind. Bei den jungen Menschen hin- gegen nehme ich einen Hunger nach Spiritualität wahr. Teils werden wir von jungen Aktivistinnen und Aktivisten angefragt, mit ihnen zu arbeiten. Bei Fastenaktion selbst reden wir lieber von Religion, zum Beispiel von der Religion der Indigenen in Kolumbien. Bei ihnen können wir die Spiritualität volkskundlich beobachten und sehen, wie für sie ihre Spiritualität eine Inspirationsquelle für soziales und ökologisches Handeln ist. Wenn es jedoch darum geht, von meiner Spiritualität und meinem Feuer für mein Handeln zu sprechen, dann wird es anspruchsvoller. Was inspiriert mich, motiviert mich und trägt mich in meinem Handeln? Viele haben hier Vorbehalte, es geht ihnen, glaube ich, zu nahe. So wie Banzhaf das Thema Spiritualität angeht, wird es möglich, auch in Organisationen von Spiritualität zu sprechen. Einerseits macht er Spiritualität anschlussfähig für Menschen, die keinen explizit christlichen Hintergrund mehr haben. Andererseits holt er Spiritualität aus der Ecke der Esoterik, indem er sich auf Bonhoeffer, Schweizer und Sölle bezieht. 

Was ist Ihnen am Begriff «Spritualität» so wichtig?
In der «Zukunftswerkstatt Wandel» arbeiten wir daran, die Trennungen in der Welt zu überwinden und die Menschen untereinander und mit der Schöpfung zu einer neuen Verbundenheit zu führen. Der norwegische Philosoph Arne Naess spricht von Tiefenökologie. Aus meiner Sicht hat er ein spannendes Konzept entwickelt. Es geht ihm darum, vom Individualismus zu einem Blick auf die Welt zu kommen, bei dem jede und jeder ein Teil eines grösseren Ganzen ist. Mein Anliegen ist es, die Stärke des Individuums neu in dessen Verbundenheit mit der Schöpfung zu sehen. Auch für Banzhaf ist der Ausgangspunkt der Mensch und seine Beziehung zur Schöpfung. Es gilt, diese Verbundenheit zu erkennen und wachsen zu las- sen. Aus dieser auch emotional erfassten Verbundenheit komme ich ins Handeln, setze ich mich für ökologische und soziale Gerechtigkeit ein. 

Sie haben schon öfters von der «Zukunftswerkstatt Wandel» gesprochen. Was ist das genau? Dahinter steht die Überzeugung, dass wir in einem grossen Umbruchprozess stehen. Der Klimawandel ist der augenfälligste. Hier bei Fastenaktion erfahren wir täglich, welche Auswirkungen die Klimakrise auf die Menschen im globalen Süden ganz konkret hat: Ernteausfälle durch Dürren und Überschwemmungen. Unser Ziel ist es, die Situationen im globalen Süden mit hier in Verbindung zu bringen. Was haben die Dürre in Ostafrika und mein Leben hier zusammen zu tun? In der «Zukunftswerkstatt Wandel» begleiten wir Einzelpersonen und Gruppen auf ihrem Weg, mit Freude einen persönlichen nachhaltigen Lebensstil zu entwickeln. Das tun wir zum Beispiel mit den «KlimaGesprächen», in denen es darum geht, das Leben des einzelnen auf Klimakurs zu bringen. Wir initiieren auch Entwicklungsprozesse zu neuen, sozial und ökologisch gerechten Lebensstilen. 

Was nehmen Sie mit aus dem Buch für die «Zukunftswerkstatt Wandel»?
Ich nehme seine geerdete Spiritualität mit. Spiritualität ist bei Banzhaf verknüpft mit sozialen und politischen Fragestellungen. Er strebt eine nachhaltige soziale und ökologische Veränderung im Sinne der katholischen So- ziallehre bzw. reformierter Sozialethik an. Mir gefällt, wie er das Verhältnis von Hoffnung und Handeln reflektiert. Ich selber spreche von «active hope» – Hoffnung durch Handeln. Hoffnung ist hier die Überzeugung, dass das, was ich tue Sinn macht, unabhängig davon, ob das angestrebte Ziel erreicht wird oder nicht. Und ich nehme die «4 E’s» mit: entrümpeln, entschleunigen, entflechten, entkommerzialisieren. Was meint er damit genau? Bei Entrümpelung spricht er von weniger ist mehr und zielt auf eine genügsame Glückseligkeit. Anstatt durchs Leben zu hetzen, empfiehlt Banzhaf, langsamer zu leben und auch mal offline zu sein. Bei der Entflechtung geht es darum, die globalen Abhängigkeiten zu reduzieren und resiliente lokale Strukturen zu schaffen. Und zum vierten «E»: In einigen Ländern wurden Gemeingüter wie Wasser und Energie an Private verkauft. Dies gilt es rückgängig zu machen. Gemeingüter wie Wasser, Energie und auch Bildung sind zu fördern und zu stärken. Die «4 E’s» sind nach Banzhaf Merkposten für einen massvollen Wirtschaftsstil. 

Was kritisieren Sie an «So entsteht Zukunft»? 

Ich mache einen gewissen Eklektizismus aus. Der Autor nimmt, was gerade in seinen Duktus passt. Auch die Anordnung des Materials zeigt eine gewisse Beliebigkeit. «So entsteht Zukunft» ist ein Kompendium, das zum Han- deln führen will. Es ist ein Praktikerbuch. Benzhaf bietet eine gute Verknüpfung von Spiritualität und Politik. Und doch bleibt das Buch ein Theoriebuch, z. B. wenn es um Spiritualität geht. Da fehlen mir praktische Übungen. Er schreibt am Anfang des Buches, dass das Wissen allein nicht reicht, und bleibt doch bei der Theorie stehen. 

Ich habe auch eine kritische Anmerkung. Im Inhaltsverzeichnis lese ich, dass der Kern der Religionen die Ethik ist. Das ist eine Verkürzung der Religion. 

Kronzeuge für diese Aussage ist Dalai Lama. Dalai Lama sagt, dass Ethik wichtiger sei als Religion. Für eine friedvolle Zukunft auf Erden müssen die Religionen die doktrinären Differenzen zwischen ihnen zurückstellen und lernen, eine gemeinsame Stimme zu finden. Diese sieht Dalai Lama in der Ethik. Banzhaf fragt, was wir im Blick auf eine gute Zukunft von den Religionen brauchen können. Er hat die Anwendung im Blick. Sein Fokus liegt auf der Praxis des Mitgefühls und der Liebe. Und hier treffen sich für Banzhaf die Religionen. 

Auch Papst Franziskus nennt in Laudato si’ die Bedeutung der Religionen. So schreibt er in Nr. 201: «Der grösste Teil der Bewohner des Planeten bezeichnet sich als Glaubende, und das müsste die Religionen veranlassen, einen Dialog miteinander aufzunehmen, der auf die Schonung der Natur, die Verteidigung der Armen und den Aufbau eines Netzes der gegenseitigen Achtung und der Geschwisterlichkeit ausgerichtet ist.» 

Interview: Maria Hässig 

Interview in voller Länge unter www.kirchenzeitung.ch 

Das könnte Dich auch interessieren

Wandelbar – wunderbar

Wandelbar – wunderbar

Rede am 25. Februar 2018 im MaiHof Luzern Vielleicht gehört es zur Tragik unserer Tage, dass uns heute vielfach Menschen ausserhalb der Kirchen vorleben, was eigentlich seit Jahrhunderten zum Kernbestand der christlichen Botschaft gehört: Sorge gegenüber der...

Ökospiritualität

Ökospiritualität

Seit Juni 2019 haben Fastenopfer und Brot für alle eine neue Form der Sensibilisierungsarbeit eingeführt, einen Zukunftsraum – die «Zukunftswerkstatt Wandel».  «Niemand hungert, weil wir zu viel essen, sondern weil wir zu wenig denken» hiess einmal ein Slogan einer...